Assessment-Center – wir müssen uns mehr Arbeit machen

Warum Assessment-Center?

 

Callcenter werden zurecht als „people´s business“ bezeichnet. Es gibt keine echten relevanten Produktionsfaktoren, die sich nicht direkt auf den Menschen zurückführen lassen. Allein die Hardware und die gemieteten Räume bilden eine Ausnahme.

Auch die Software und die gelebte Organisationsstruktur sind das Resultat des Produktionsfaktors Mensch.

Das stärkste Symptom der gründerzeitlichen und sehr wenig nachhaltigen Vorgehensweise mit dem Produktionsfaktor Mensch drückt sich in der Fluktuationsrate der meisten Callcenter aus. Wie ungesund dies für eine Organisationskultur ist und welches Menschenbild hier hinter diesem Phänomen steht, ist derer nicht erörtern.

Diese Fluktuationsquote macht die Dienstleister Struktur zu intellektuellen Durchlauferhitzern. Um die Qualifikation der Organisation aufrechtzuerhalten, muss dauerhaft „nachgefeuert“ werden. Die Erstausbildung endet nie.

Dadurch gleicht ein Dienstleiter Callcenter mehr einem Pfadfinder Lager oder einer Grundausbildung der Bundeswehr zu Zeiten des Wehrdienstes.

Alle paar Wochen kommen „Schulklassen“. Einige bleiben länger oder kommen öfter und werden „(Jugend) -Gruppenleiter“. Die meisten gehen wieder schnell. Im Callcenter werden die die länger bleiben als Fachansprechpartner oder durch die Übernahme von Sonderaufgaben belohnt. Ein erster Aufstieg im Callcenter ergibt sich also bis zu einem gewissen Grad schlicht durch Sitzfleisch.

Alle kochen mit Wasser. Hinter den vollmundigen Worten der Präsentationsinternetseiten der unterschiedlichen Dienstleister verstecken sich nur marginale Unterschiede in den Organisationen. Eine Ebene der messbaren Professionalität stellen zertifizierte Prozesse da. Ein anderes Kriterium ist die Ausbildung und Auswahl der „Kernmannschaft“. Also der Gruppe von Personen, die das „Ferienlager“ betreibt.

Liegt auch hier dieselbe Fluktuationsneigung vor die auf der Servicemitarbeiterebene, so ist die Aufrechterhaltung des „Durchlauferhitzers“ gefährdet. Die Qualität und die Kontinuität in der Führungsriege sind daher entscheidend.

Leider sieht die Realität der kontinuierlichen Führungskräfteausbildung weit weniger rosig aus als erhofft.

Die Vorgesetzten haben meist selbst keine branchenspezifische Ausbildung und glauben, dass man nur jemanden seine Position geben müsse, der Rest entwickelt sich dann schon von alleine. Dies ist keine Böswilligkeit, sondern eher das Resultat der Belastung, die durch die engen Verdienstmargen und die ausufernden Ansprüche der Auftraggeber entstehen.

Die internen Qualifikationsstrukturen sind auf die Aufrechterhaltung des Durchlauferhitzers ausgerichtet und können nicht die Ausbildung der Führungskräfte garantieren. Jede Führungskräfteausbildung ist durch diese zentrale Aufgabe begrenzt.

Externe Ausbildungsdienstleister können nur zu einem gewissen Grad den speziellen Anforderungen eines Projektes und seines Dienstleisters genügen. Sie bleibt immer ein teurer Kompromiss.

Jede Auswahl einer Person für eine Führungsaufgabe in dem Pfadfinder Lager die unter der Prämisse „den müssen wir uns dann noch in die richtige Richtung entwickeln“ ist grob fahrlässig. Genau dieser Entwicklung wird kein gesunder Nährboden geboten. Für sie ist einfach im Tagesgeschäft keine Zeit.

Die Auswahl der richtigen Führungsmitarbeiter

Eine Auswahl nach Sitzfleisch hat gewisse Vorzüge. Sie ist einfach und man weiß, dass das ausgewählte Personal durch ihre vermutete Treue zur Kontinuität des Durchlauferhitzers beiträgt. Über die Qualifikation sagt diese Kontinuität nichts aus. Auch hat es einen hohen Wert diese Personen vielleicht schon bei der Übernahme von Sonderaufgaben beobachten zu können. Ich empfehle stark eine Potenzialträger Datenbank zu pflegen, die diese Ressourcen strukturiert erfasst. In regelmäßigen Abständen sollte in den Führungsgremien diese Liste diskutiert, befüllt und aktualisiert werden.

Es wäre fahrlässig die Wirkung eines hübschen Dekolletés einer jungen Dame, eines strahlenden Lächelns eines anderen Bewerbers oder des selbstbewussten Auftretens einer überdurchschnittlichen großen Person zu unterschätzen. Besonders im klassischen Bewerbungsgespräch sind die möglichen Verzerrer, die sich oft als das nebulöse Bauchgefühl der Personalreferenten ausdrückt, eine hohe Bedeutung. Natürlich haben diese steinzeitlichen Kriterien der Partner- und Führerwahl bis zu einem gewissen Grad ihre Bewandtnis. Darüber hinaus lernt ein guter Personalreferent, vor allem durch die langjährigen Erfahrungen seiner Fehlentscheidungen, die „Schauspieler“ herauszufiltern. Das vier oder sechs Augen Gespräch ist daher besonders zur Beleuchtung des persönlichen Hintergrundes des Bewerbers und zur Klärung von nicht öffentlichen Themen (besondere Bedürfnisse) unerlässlich. Zur Ermittlung der fachlichen Qualifikation und zum Vergleich der Kandidaten untereinander ist es eher ungeeignet.

Die fachliche Qualifikation eines Kandidaten sollte daher möglichst gesondert getestet werden. Besonders wichtig aber auch schwierig ist dies bei allen Aufgaben, die mit der Interaktion von Menschen zu tun haben, wie Trainer, Coaches und Führungskräften. Wie testet man Teamfähigkeit? Wie Ehrlichkeit und Konsequenz? Wie strukturiertes Vorgehen unter Stress?

Egal wie sehr man sich bemüht bleibt jede Übung, die man unternimmt, um diese Fähigkeiten zu testen, die Ergebnisse bleiben Laborergebnisse mit begrenztem Aussagewert.

Assessment-Center versuchen diese Aufgaben so zu arrangieren und aufzubauen, dass sie so wirklichkeitsnah wie möglich sind.

Hierbei ist ein Assessment-Center kein Allheilmittel, sondern nur ein Bestandteil eines professionellen Auswahlprozesses. Auch er hat Vorteile und Nachteile. Teilnehmer können miteinander verglichen werden. Der Stress ist echt und die Beobachtung sehr direkt. Gleichzeitig können die guten „Schauspieler“ ihre Verstellungsleistung oft durchaus einen Tag aufrechterhalten. Daher finden manche Assessment-Center für höchste Führungspositionen auch oftmals über mehrere Tage statt. Die Qualität eines Assessment-Centers ist abhängig von dem Bewusstsein der Durchführenden für die Chancen aber auch die Begrenzungen dieser Methode.

Ablauf eines Assessment-Centers

Vorbereitung

„Mal schnell“, „wir brauchen jetzt, sofort …“ Mangelhafte Planung und nicht vorausschauende Personalpolitik sind eine der Hauptfehler bei der Auswahl von Fach- und Führungspersonal. Ich empfehle einen Standardprozess, der entsprechend des Bedarfs an Kräften ein bis zwei Mal pro Jahr fest geplant abläuft, ohne Hoppla hopp vor gezogen oder abgesagt wird.

Wer soll an dem Assessment-Center teilnehmen? Was qualifiziert mich für diese Auswahl? Was verzerrt meine Wahrnehmung? Wie wird wer eingeladen? Führen wir vorab ein Einzelgespräch durch? Welche Aufgaben kombinieren wir wie? Welche Aufgabe ist uns besonders wichtig? Wie gewichten wir wir welche Aufgabe? Wer führt das Assessment-Center mit mir durch? Wie beobachten wir eigentlich? Welches Material benötigen wir? In welchem Raum machen wir es? Was ziehen wir an? Welche Wirkung wollen wir erzielen?

Machen sie sich mehr Arbeit. Wenn sie das weder wollen, noch können, dann lassen sie es sein und wählen sie lieber per Los irgendeinen Kandidaten. Ein schlecht geplanter Personalentscheidungsprozess bietet nur unwesentlich bessere Ergebnisse als ein Losverfahren.

Planen sie ihre Aktionen, beantworten sie sich alle Fragen, um einen professionellen Prozess aufzustellen. Die Wirkung ihres Auswahltages wir auch stark von ihrem professionellen Auftreten abhängen. Seien sie ruhig etwas nervös.

Durchführung

Schalten sie ihr Mobiltelefon raus. Störungen sind nicht erlaubt. Können sie dies nicht garantieren, dann lassen sie es lieber und nehmen sie den erst besten Kandidaten. Wenn sie die Auswahl nicht ernst nehmen, ist die Wirkung auf ihre Mitarbeiter fatal.

Haben sie einen festen Leitfaden. Haben sie einen Zeitplan und versuchen sie sich daran zu halten. Notieren sie sich auf dem Ablauf die Ergebnisse der zeitlichen Durchführung.

Versuchen sie ruhig die einzelnen Moderationen lustig und locker zu gestalten. Seien sie bei den Aufgaben selbst streng.

Machen Sie sich Notizen zu jeder Person und zu jeder Aufgabe. Versuchen sie jede Aufgabe getrennt von der anderen zu sehen. Versuchen sie gleichbleibende Kriterien der Beobachtung festzulegen. Geben sie am Schluss jeder Aufgabe jeder Person eine, auf einer vorher festgelegten Skala, Note.

Achten sie besonders darauf, ob sie zu einzelnen Personen immer sehr viel sagen können oder auch sehr wenig. Dies ist ein Schlüssel zu der Außenwirkung einer Person.

Das Assessment-Center ist, wenn sie es richtig machen für alle Beteiligten kein Spaziergang. Gehen sie wertschätzend mit ihren Teilnehmern um.

Auswertung

Führen sie die Auswertung am gleichen Tag und im gleichen Raum durch. Namenschilder an den Plätzen oder sogar Bilder der Personen erhöht die Abrufbarkeit der Erinnerungen an die einzelnen Situationen.

Ihre Erinnerungen sind flüssig. Schaffen sie es nicht ihre Auswertung am selben Tag durchzuführen, dann lassen sie das Assessment-Center sein. Ihre Erinnerungen werden sich über Nacht verzerren und selbst korrigieren.

Gehen Sie Aufgabe für Aufgabe einzelnen durch und gleichen Sie mit ihrem Beobachter die Ergebnisse ab. Diskutieren sie so lange, bis sie zu einer gemeinsamen Bewertung kommen. Versuchen sie nicht die Person zu bewerten, sondern die Person in der Erfüllung der einzelnen Aufgabe.

 

Tabelle 1 Beispiel einer Bewertungsmatrix

Person

Aussehen / Auftreten

Vorstellung

Vorbereitung Gruppenarbeit

Gruppenarbeit

Diskussion

Mitarbeiter Gespräch

Gesamt

Gewichtung

0,5

1

1

1

1

2,5

7

Person A

 

 

 

 

 

 

 

Person B

 

 

 

 

 

 

 

Person C

 

 

 

 

 

 

 

Durchschnitt

 

 

 

 

 

 

 

 

Treffen sie anhand dieser Matrix noch am selben Tag ihre Entscheidungen für das weitere Vorgehen. Wer erhält eine Absage, wer ein weiteres Einzelgespräch, wer die Information über mögliche andere Verwendungen.

Wer sollte das Assessment-Center durchführen?

Die Durchführung sollte immer mindestens eine Person beinhalten, die tatsächlich entscheiden darf und muss. Dass das Ergebnis, das Assessment-Centers später erst den Entscheidern präsentiert wird, sorgt für gefällige Selbstkorrekturen oder zu Verteidigung der Auswahl. Beides verschlechtert das Ergebnis.

Des weiteren sollte eine Person dabei sein, die es nachher aus „ausbaden muss“. Es ist sehr sinnvoll, dass die Führungskraft der zukünftigen Führungskraft an der Auswahl beteiligt ist.

Objektivität existiert nicht. Jeder Moderator oder Beobachter sollte, wenn schon eine echte Objektivität möglich ist, um seine Subjektivität wissen. Jeder von uns hat Wahrnehmungsverzerrer. Jeder schaut durch seine eigene Brille. Es ist daher sehr wertvoll, wenn mehrere unterschiedliche Beobachter am Auswahlprozess beteiligt sind.

Personen mit starken Vorurteilen sind für solche Beobachtungen nicht geeignet. Wer eine starke Bewertung bis Abwertung vom Geschlecht oder dem Gewicht einer Person hat, ist als Personalbewertender ungeeignet. Wer sich sicher ist eine besonders gute Intuition zu haben, überschätzt meist sein Bauchgefühl und unterschätzt seine strukturierten Wahrnehmungsverzerrer. Wer sich selbst zu sicher ist, hat meist keine ausgeprägte introspektive und damit zu meist auch keine differenzierte Wahrnehmung seiner Mitmenschen. Zweifel ist wertvoll.

Wer nicht ruhig ohne Eingriff beobachten kann, ist ungeeignet. Wer sich selbst sehr gerne reden hört, wird Schwierigkeiten haben, genau zuzuhören und zu beobachten.

Sprechen sie mehrere dieser Fehler an? Dann macht es Sinn vielleicht eine zusätzliche unbeteiligte Person als Beobachter hinzuzuziehen.

Sind sie sicher, das sie keine dieser Wahrnehmungsverzerrer auf sie zu treffen? Wenn sie diese Frage mit Ja beantworten, sind sie als Beobachter und Bewerter von Personen ungeeignet.

Was soll ich beobachten?

Suchen sie sich feste Kriterien. Wie spricht die Person? Wie steht sie? Wie setzt sie sich durch? Wo ist sie unsicher? Wo Kompromiss bereit? Besonders wichtig im Assessment-Center ist natürlich de Frage: Wie reagiert die Person auf Stress?

Ich selbst halte viel von dem Begriff der „Schlupfworte“.[1] Wir alle spielen immer eine Rolle. In einem Assessment-Center sind sich die Teilnehmer voll bewusst das sie eine bestimmte Rolle spielen sollen. Sie werden versuchen, sich entsprechend dieser von ihnen selbst unbewusst geschriebenen Rollenanweisung zu verhalten. Es lässt sich also ablesen, was sie glauben, wie eine Führungsperson ein sollte. Nicht, aber wie sie tatsächlich sind.

Ist der Stress der Aufgabe groß genug, steigt der notwenige Grad an Konzentration um diese Rollenfassade aufrechtzuerhalten. Durch unbedachte „Schlupfworte“, die die man nicht sagt, kleine Gesten oder die Mimik kann man für einige Sekunden hinter die Rolle schauen.

Hören sie auf ihren Bauch kontrollieren sie, was neben ihren Standardverzerrern, die sie hoffentlich kennen (z. B. „Alle dicken Menschen sind bequem“) noch fühlen und sehen.

Achten sie darauf, was Personen nicht sagen. Beobachten sie die Personen so, dass sie auch die „Unbeobachteten“ im Auge haben. Schafft es eine Person, dass sie sie fasst nicht sehen? Finden viele Personen dasselbe gut? Sehen die Beobachter im selben Moment ganz unterschiedliche Dinge? All das kann das Zeichen dafür sein, dass sie kurz hinter die Fassade sehen können.

Entscheiden sie sich bewusst ihren Auswahlprozess zu gestalten, überfordern sie sich nicht. Wenn sie sich für einen komplexeren Auswahlprozess wie ein Assessment-Center entscheiden, dann tun sie es mit voller Kraft und nicht nur mit halber Energie. Wir müssen uns mehr Arbeit machen.

Was würde man eigentlich hinter ihrer Fassade sehen?



[1] Geprägt von den Hexen der Spitzhornberge aus Terry Prattchet Scheibenwelt Romanen

 

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